Durch Feuer und Wasser                                                                                                     ***WERBUNG***

 
Camilla Grebe
Durch Feuer und Wasser
Psychothriller
Erscheinungstermin: 14. Januar 2019
480 Seiten
 
Durch Feuer und Wasser
 
Zwei Geschwister verschwinden kurz nacheinander von ihren Pflegeeltern. Wenig später taucht ein Bild von den beiden im Internet auf, zusammen mit einer fremden Frau. Als diese einige Tage später tot aufgefunden wird, muss das Ermittlerteam schnell handeln. Was ist mit der Frau passiert? Und warum ist sie auf einem Bild mit den zwei vermissten Kindern zu sehen? Was hatte sie mit ihnen zu tun? Psychotherapeutin Siri Bergman und ihrem Team bei der Stockholmer Polizei bleibt nicht viel Zeit, um dem mysteriösen Fall auf den Grund zu gehen und den Täter zu finden.
 
 
 
Ja das ist nun wieder ein Schweres Thema,den es geht um Kinder.
 
 
Ich muss sagen ich bin sehr gut in das Buch gekommen und es viel mir vom Lesen her nicht schwer.
Ich kannte die Vorgänger Bücher von  Siri Bergman nicht da gab es wohl schon mehrere Bände was ich so nun erlesen konnte.
 
 
Die Beiden Geschwister die  zu Pflegeeltern gekommen sind da die Mutter ein Drogenproblem hat sind verschwunden das merkwürdige erstmal ist das sie in zwei verschiedenen Familien waren.
 
Im ersten Moment denkt man natürlich die Mutter hat sich die  Kinder wieder zurückgeholt aber das Täuscht nach den Ermittlungen.
Auch das andere Umfeld der Kinder wird genaustens untersucht aber das ergab auch nix.
 
Die Stockholmer Polizei bittet daraufhin die Profilergruppe zu Hilfe wo auch Siri Bergman drinnen ist.
 
Es wird dann etwas im Trüben gefischt,bis Bilder von den Kindern auftauchen mit einer anderen Frau die noch unbekannt ist.
Um den Fall nun zu Lösen geht Profilerin Siri Bergman ganz Tief in die Vergangenheit von dem Leben der beiden Kinder.
 
Und dazu muss ich sagen wir als Leser werden dabei nicht geschont es geht um Gewalt und Psychischen Druck den die Kinder ausgesetzt sind.
 
 
Desweiteren kommt auch noch ein zweiter Missbrauchs Fall hinzu von einem Jungen der auch in Pflegefamilien hin und her gereicht wurde, da seine Eltern bei einem Feuer ums Leben gekommen sind.
 
Am Ende kommen dann alle Handlungen wieder zusammen und ergeben ein Großes Bild von einer erschüttender Wahrheit.
 
 
Im einer Nebengeschichte fließt dann auch noch die Beziehung von Siri mit ein die zur Zeit nicht so Prickelnd läuft durch einen Seitensprung.
 
 
Das Buch ist Super geschrieben,über ein wirklich großes Tabu Thema (was eigentlich kein Tabu sein sollte)
Man muss wirklich an einigen Stellen schlucken den die Autoren verschönigen nix,sie schreiben die knallharte Seite von dem Leben von Kindern in Pflegefamilien.
 
Ich konnte das Buch auch nicht wirklich aus der Hand legen es war Spannend trotz des heftigen Themas und man hofft natürlich das alles wieder gut wird und so liest man immer und immer weiter.
 
Wie es am Ende ausgegangen ist werde ich Euch natürlich nicht verraten das müsst ihr wie immer selber lesen.
 
 
Leseprobe
 
Nacka, im Osten von Stockholm, 1985
 
Er setzt sich im Bett auf. Lauscht unruhig auf Geräusche, hat
Angst, seine Eltern könnten das Klingeln hören. Er hat mit dem
Wecker im Bett geschlafen. Wie eine harte Kugel lag der unter
dem weichen Kissen. Wie ein Geheimnis, von dem nur er wusste.
Das einzige Licht im Zimmer stammt von einem orangefarbenen Weihnachtsstern aus Pappe, der sein Licht im Kinderzimmer verbreitet. Das schmale Bett, das Bücherregal aus Fichtenholz
und die bunten, bis an den Rand mit Spielzeug gefüllten Plastikkisten werden davon brandgelb gefärbt. Auf dem kleinen Schreibtisch neben der Tür steht ein Flamingo aus rosa Glas, den seine
kleine Schwester ihm zu Weihnachten geschenkt hat. Daneben
sitzt Onkel Dagobert mit düsterer Miene auf der Spardose, die
wie eine Truhe aussieht, und bewacht das Geld. Der Junge weiß
genau, wie viel er in der Spardose hat. Neunzehn Kronen und
fünfzig Öre. Der Junge denkt, dass er ein so guter Slalomläufer
werden will wie Ingemar. Auch er wird die steilsten Hänge hinuntersausen und die größten Rennen gewinnen. Sein Papa hat ihm
versprochen, dass er dieses Jahr in die Skischule darf. Er ist doch
jetzt sieben, also groß genug. Nach Weihnachten wird die Familie nach Sälen fahren, und da kann er dann endlich seine neuen
Skier ausprobieren.
Der Junge steht auf. Schleicht vorsichtig zum Fenster. Stellt
sich dicht vor die Scheibe. Legt die Hand an das kalte, glatte Glas.
Draußen ist der Himmel schwarz, und er kann Tausende funkelnder Sterne sehen. Sie kommen ihm vor wie spitze Glasscherben,
die jemand über ein schwarzes Tuch verstreut hat.
 
Den Jungen schaudert es. Er mag es nicht, wenn der Nachthimmel das Haus in Finsternis hüllt. Er hat Angst vor Dunkelheit und
Leere, vor allem vor dem, was sich dort draußen versteckt und nicht
zu sehen ist. Er richtet lieber den Blick nach unten auf das Grundstück. Der Schnee liegt unberührt da und die Straßenlaterne wirft
ihr kaltes Licht auf den weißen daunenweichen Teppich.
Überall Schnee. Der breitet sich wie eine dicke Decke über den
Garten. Der Junge ahnt die Umrisse von Büschen und Beeten
und von Papas altem Fahrrad vor der Garage. Mama hat in einen
der knorrigen Apfelbäume Laternen gehängt. Es sieht so schön
aus, wenn die Laternen durch den Schnee leuchten. Wirklich wie
Weihnachten.
Es ist halb fünf Uhr morgens. Bald wird Mama aufstehen. Sie
muss immer früh raus, um rechtzeitig bei ihrer Arbeit im Krankenhaus zu sein.
Mama arbeitet bei kranken Kindern, und ab und zu weint sie,
wenn sie nach Hause kommt. Dann ist tagsüber etwas passiert. Der
Junge hat heimlich zugehört, als Mama und Papa geredet haben,
und er weiß, dass bei Mamas Arbeit schlimme Dinge geschehen.
Es kommt vor, dass Kinder sterben. Dass sie so krank sind, dass
sie nicht mehr leben können. Er bekommt Angst, wenn er Mamas
Geschichten hört. Auch er ist schließlich schon krank gewesen.
Was, wenn es auch bei ihm so schlimm wird, dass er stirbt? Oder
vielleicht Mama oder Papa oder Elsemarie? Wenn der Junge über
solche Dinge nachdenkt, bekommt er Bauchschmerzen und muss
an etwas anderes denken. Wie Autos. Oder Tablettenschachteln.
Er flüstert alle Namen von Tablettenschachteln, die er kennt,
wieder und wieder.
Nach einer Weile geht es ihm besser.
Vorsichtig drückt er auf die Klinke und schleicht hinaus auf
den schmalen Gang. Elsemaries Zimmertür steht offen, und er
kann ihr erleuchtetes Aquarium sehen, das einen eigenen Tisch
hat. 
Die weiße Tür der Eltern ist geschlossen, und er weiß, dass
die beiden dahinter tief schlafen. Der Junge spürt den Teppichboden an seinen nackten Fußsohlen kitzeln. Es fühlt sich schön
an, wie Samt. Wenn man den Fuß darüberzieht, bleibt eine Spur
in dem dicken Teppich. Das sieht witzig aus. Der ganze Teppich
sieht witzig aus.
So ein Teppichboden ist auch auf der Treppe verlegt. Papa sagt,
das sei gut, dann ist die Treppe nicht so glatt und man braucht
keine Angst zu haben, dass man ausrutscht und sich wehtut. Papa
findet solche Dinge wichtig. Dass die Treppe nicht glatt ist. Dass
auf dem Weg von der Straße zum Haus ordentlich gestreut ist.
Dass alle gefährlichen Flaschen mit Reinigungsmitteln in der
Garage weggesperrt sind. Der Junge findet, dass der Vater übertreibt. Er ist doch jetzt sieben. Geht zur Schule. Ist alt genug, um
zu wissen, dass man nichts trinken darf, was man nicht kennt.
Aber er sagt nichts, denn er weiß ja, dass Papa es beruhigend findet, wenn alles seine Ordnung hat.
In der Küche brennt der elektrische Leuchter. Es riecht nach
Tee und Apfelsinen und etwas anderem, das er nicht kennt, das
ihm aber vertraut vorkommt. Es riecht nach zu Hause. Der Junge
geht in die Hocke, öffnet einen Schrank und zieht ein großes
rotes, mit Weihnachtswichteln dekoriertes Blechtablett heraus. Er
stößt dabei gegen einen Plastikbehälter, und in der Küche ist ein
dumpfer Laut zu hören. Dann wird es wieder still. Er wartet. Wartet auf die Stimme seiner Mutter und ihre Frage, was denn los sei,
aber alles bleibt still.
Der Junge stellt das Tablett auf den Tisch und nimmt sich
einen Teller. Es ist ein brauner Steingutteller, und er findet, der
sehe aus wie ein echter Wichtelteller. Dann hockt er sich vor den
Küchenschrank. Im Schrank haben die Eltern ihre großen Kessel
und Kochtöpfe stehen, die Papa benutzt, wenn er Saft kocht. Der
Junge hebt den Deckel von dem größten Kessel und greift hinein.
 
Tastet mit eifrigen Händen, bis er die Papiertüte streift. Triumphierend zieht er sie heraus und fängt an, die schön verzierten
Pfeffer kuchenherzen auszupacken. Grüner und rosa Zuckerguss.
»Schönen Luziatag«, steht in feiner Schnörkelschrift darauf. Es
sind insgesamt vier. Eins für jedes Familienmitglied. Mama, Papa,
Elsemarie und ihn selbst. Er legt die Herzen auf den grünen Steingutteller. Versucht, sie besonders schön aussehen zu lassen, indem
er sie anordnet wie ein vierblättriges Kleeblatt.
Der Junge hat Geld aus seiner Spardose genommen und die
Herzen in der kleinen Konditorei in der Innenstadt gekauft, an der
er jeden Tag auf dem Schulweg vorbeigeht. Er hat lange gebraucht,
um sich zwischen den unterschiedlichen Pfefferkuchen hinter dem
Tresen zu entscheiden, er wollte ja alles ganz richtig machen. Als er
sich am Ende entschieden hatte, gab er das Geld der grauhaarigen
Tante, die immer hinter dem Tresen in der Konditorei steht. Sie
heißt Hilma, und ihr Mann, der Konditor, heißt Erik, und er bäckt
alle Kuchen und Brötchen, die es in der Konditorei gibt. Hilma
lachte über den Jungen, als sie seine Ein-Kronen-Stücke sah, aber
es war ein liebes Lachen.
»Willst du deine Eltern überraschen?«
Sie lachte noch immer, und dabei war ihre Zahnlücke im Oberkiefer zu sehen. Er nickte eifrig.
»Ja, zu Luzia. Mama und Papa und Elsemarie.«
»Was du nicht sagst. Das wird ja ein schönes Fest werden!«
Hilma griff zu einer silbernen Zange, nahm vorsichtig einen
Pfefferkuchen nach dem anderen und legte sie in die Tüte.
»Aber dann brauchst du doch auch eine Überraschung.«
Sie bückte sich unter den Tresen und zog eine Tüte mit Lutschern heraus. Der Junge nahm sich einen orange gestreiften
und bedankte sich artig, dann legte er die Tüte vorsichtig in seine
Schultasche und machte sich auf den Heimweg, während er an
seinem Lutscher leckte.
 
Er arbeitet weiter an dem Tablett. Mama und Papa trinken morgens Kaffee, aber er weiß nicht, wie man Kaffee kocht. Stattdessen
nimmt er zwei Flaschen Weihnachtsmalzbier aus der Speisekammer. Die fühlen sich kühl an. Mama hat erklärt, dass es in der
Speisekammer eine Luke gibt, die kalte Luft hereinlässt. Je kälter
es draußen wird, umso kälter ist es auch in der Speisekammer.
Und jetzt ist es draußen schweinekalt. So kalt, dass schon jede
Menge Schnee gefallen ist.
Er hat sich so nach Schnee gesehnt.
Danach gesehnt, mit dem Schlitten den steilen Hang im Wald
hinunterzusausen, im Garten liegend Schnee-Engel zu machen
und Elsemarie mit Schneebällen zu bewerfen. An das Letzte denkt
er fast zaghaft, wie aus Angst, dass jemand seine Gedanken hören
könnte. Er will Elsemarie nicht wehtun, aber manchmal macht es
Spaß, sie aufzuziehen. Er liebt seine kleine Schwester, und wenn
irgendwer gemein zu ihr wäre, würde derjenige es mit ihm zu tun
bekommen. So ist das.
Er stellt vier kleine Gläser auf das Tablett und betrachtet dann
sein Werk. Ein Teller mit vier Pfefferkuchen. Zwei Flaschen Malzbier. Vier kleine Gläser. Es sieht schön aus, aber doch noch nicht
so schön, wie wenn seine Eltern für ein Festmahl decken. Er überlegt, was fehlt, und dann geht er zu einer Schublade, sucht darin
und findet schließlich eine Packung Servietten. Die sind nicht
sonderlich weihnachtlich, mit ihren Bildern von Walderdbeeren, aber er findet sie trotzdem schön. Er faltet sie zusammen, wie
Mama das macht, und legt sie dann auf das Tablett.
Jetzt sieht es noch schöner aus, aber noch immer fehlt etwas.
Er schaut sich in der Küche um und entdeckt dann den Adventsleuchter, der auf dem Tisch aus Kiefernholz steht. Zwei Kerzen
sind unberührt, die darf man noch nicht anzünden. Man muss
bis zum dritten und vierten Advent warten. Der Junge stellt den
Adventsleuchter auf das Tablett. Drückt ihn zwischen Servietten
 
und Teller, wo er gerade genug Platz hat. Kuchen, Getränke, Servietten, Kerzen. Das sieht wirklich schön aus, und so lecker, dass er
gern einen Pfefferkuchen probieren würde, wie ein richtiges Baby.
Aber das wird er natürlich nie im Leben tun.
Jetzt muss er noch Streichhölzer holen. Er weiß genau, wo
Papa die aufbewahrt, aber er kommt nur mit Mühe an das oberste
Schrankfach. Er klettert auf die Küchenbank und versucht, sich
zum obersten Fach in dem kleinen Seitenschrank zu recken. Es
riecht nach Stearin und Gewürzen und ein bisschen muffig, und
eigentlich würde er sich gern die Nase zuhalten, da der Geruch so
stark und aufdringlich ist. Er kann nicht bis so hoch oben sehen,
deshalb lässt er vorsichtig seine Finger über die unterschiedlichen
Gegenstände wandern. Findet den großen Aschenbecher aus
Glas, der nur hervorgeholt wird, wenn sie Besuch von jemandem
haben, der raucht. Daneben liegen die schönen Serviettenringe
aus Messing, die an Feiertagen benutzt werden. Er sucht weiter,
findet schließlich eine kleine Pappschachtel, schließt die Finger
darum und klettert von der Küchenbank. Die Schachtel ist blau,
und darauf ist ein Bild eines kleinen Kindes, das zielstrebig auf
eine leuchtende Sonne zumarschiert. Es sieht fast aus, als sei das
Kind auf dem Weg mitten in die Sonne.
Es ist schwer, die Kerze anzuzünden. Er hat zwar schon einmal
Streichhölzer benutzt, aber da waren immer Erwachsene dabei.
Jetzt muss er es allein schaffen. Natürlich weiß er, dass man mit
Feuer ungeheuer vorsichtig umgehen muss. Er ist vorsichtig. Er
konzentriert sich, und am Ende brennt die erste Kerze. Bei der
zweiten geht es leichter, denn er kann das Streichholz gleich an
der ersten Flamme anzünden. Und dann ist das Tablett fertig:
Pfefferkuchen, Malzbier, Servietten und Kerzen.
Es sieht schön aus. Er ist stolz und aufgeregt. Stellt sich vor, was
Mama und Papa wohl sagen werden. Und Elsemarie! Die werden
ja so überrascht sein!
 
Er hebt das Tablett vorsichtig hoch. Es ist schwer. Schwerer,
als er erwartet hat. Er muss sich anstrengen, um es gerade zu halten, damit nichts herunterfällt. Mit langsamen Schritten steigt er
die Treppe hoch und findet es plötzlich schön, dass Papa auch
dort Teppichboden verlegt hat, denn dadurch ist es weniger glatt,
genau wie Papa gesagt hat.
Als er in den kleinen Gang im ersten Stock kommt, stellt er das
Tablett auf den Tisch vor dem Fenster. Dann geht er in sein Zimmer und holt seine Sternsingerkleider hervor: ein weißes Hemd,
einen Sternenhut und einen goldenen Pappstern, der an einem
Blumenstöckchen befestigt ist.
Diese Kleider kommen ihm auf irgendeine Weise magisch vor.
Er wird zu einem anderen Jungen. Einem Jungen in weißen Kleidern, der Weihnachten ankündigt.
Als er wieder in den Gang hinauskommt, will er anfangen zu
singen, aber dann schaut er aus dem Fenster.
Draußen auf der Straße kommt ein seltsamer Mensch gegangen, der einen Wagen vor sich herschiebt. Zuerst begreift der
Junge nicht, was er dort sieht, er ahnt nur die Umrisse dieses seltsamen Gefährts. Er rennt die Treppe hinunter in die Diele und zu
dem Fenster neben der Haustür. Kann das ein Dieb sein, der da
draußen mit einem Wagen unterwegs ist? Denn so früh am Morgen ist es ja wohl keine Mama mit einem Kinderwagen. Oder ist
es vielleicht der Weihnachtsmann?
Der Junge glaubt eigentlich nicht mehr an den Weihnachtsmann. Stefan aus seiner Klasse sagt, dass nur Pipibabys an den
Weihnachtsmann glauben und dass die Geschenke von den Eltern
besorgt werden.
Aber vielleicht trotzdem?
Er beugt sich zur Fensterscheibe vor und sieht sich die Gestalt
genauer an, und die bewegt sich jetzt auf der verschneiten Straße
auf das Haus zu. Er begreift nicht so ganz, was er sieht, wer sich
 
hinter den Winterkleidern verbirgt. Aber dann bückt sich die
Gestalt plötzlich über den Wagen, nimmt etwas heraus und steckt
es in ihren Briefkasten.
Der Junge begreift, dass er einen Zeitungsboten vor sich hat. Er
hat so einen noch nie gesehen, weil die immer so früh am Morgen kommen, aber Papa hat ihm erklärt, dass ein Zeitungsbote
die Morgenzeitungen austrägt, so, wie ein Briefträger das mit der
Post macht. Der Mann tut ihm leid, da er so früh aufstehen und
bei dem vielen Schnee Zeitungen austragen muss, aber zugleich
freut sich der Junge, denn er weiß, dass Mama und Papa morgens
gern die Zeitung lesen.
Er zieht seine Allwetterstiefel an, die innen lockiges weißes Fell
haben und außen Plastik. Man kann sie bei jedem Wetter anziehen, wie der Name ja schon sagt. Die Stiefel sind schön, und das
Fell fühlt sich an seinen nackten Füßen warm und weich an.
Der Junge betrachtet sich im Spiegel. Ein Sternsinger mit einem
funkelnden goldenen Stern und Allwetterstiefeln. Vorsichtig legt
er den Stern auf den Boden. Den braucht er ja wohl nicht, wenn
er nur die Zeitung holen will.
Es ist nicht schwer, die Tür aufzumachen. Man dreht nur an
dem Türknauf, bis es Klick macht. Der Junge tritt hinaus auf die
Treppe, dann bleibt er stehen und schaut sich verwundert um.
Überall weiß. Überall Schnee.
Es riecht kalt und feucht und nach Winter.
Vorsichtig zieht er die Haustür zu, wie er das von seinem Papa
gelernt hat, und läuft dann zum Briefkasten. Er bleibt stehen und
bückt sich, lässt die Hände einige Handvoll Schnee fangen und
macht daraus einen harten Ball. Er zielt auf die große Birke, die
in ihrem Garten wächst, verfehlt den weißgefleckten Stamm aber
um einige Zentimeter. Er macht sofort noch einen Schneeball,
zielt und trifft wieder daneben. Er versucht es noch einmal und
noch einmal, schafft es aber nie.
 
Plötzlich merkt er, wie steif und kalt seine Finger sind. Er hat
ja keine Handschuhe an. Nur einen Schlafanzug und darüber ein
Luziahemd und einen Sternsingerhut aus Pappe. Und die warmen Stiefel. Langsam geht er auf den Briefkasten zu. Der Schnee
reicht ihm fast bis über den Stiefelrand und ein bisschen rutscht
hinein. Er versucht, sich zu beeilen. Hebt den Deckel des alten
grünen Plastikbriefkastens und fischt Dagens Nyheter heraus. Auf
der Vorderseite ist eine Luzia abgebildet.
Als er zur Haustür zurückgeht, schaut er am Haus nach oben.
Im Fenster im ersten Stock sieht er einen seltsamen Lichtschein.
Er begreift nicht, was das sein kann. Vielleicht sind Mama und
Papa aufgewacht, oder Elsemarie ist schon aufgestanden?
Das Licht bewegt sich oben hinter dem Fenster, wechselt zwischen Weiß, Gelb und Orange.
Der Junge rüttelt an der Haustür, aber nichts passiert. Er rüttelt
wieder. Zieht so fest er nur kann am Türknauf. Er friert, und seine
Füße sind nass, und er will ins Haus, aber er bekommt die Tür
nicht auf. Er versucht es noch einmal, aber noch immer passiert
nichts. Die Tür ist weiterhin verschlossen und nichts bewegt sich.
Und dann fällt es dem Jungen wieder ein.
Man muss das Schloss aufsperren, sonst kann man die Tür
nicht öffnen. Und das hat er vergessen.
Für einen Moment steht er bewegungslos da. Weiß nicht, was
er machen soll. Dann fängt er an, mit der schwarzen Türklappe zu
schlagen. Er schlägt und schlägt, aber niemand kommt.
Dann schreit er. Ruft nach Mama und Papa.
Aber noch immer kommt niemand, um aufzumachen. Und im
ersten Stock bewegt sich das Licht jetzt immer schneller. Weiß,
Gelb und Orange.
Das Licht, das ein Feuer ist.
 

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