Eiskalte Hölle

Ein einsames Dorf in den Bergen. Ein grausamer Leichenfund im verschneiten Wald. Und eine Ermittlerin, die sich bald selbst nicht mehr trauen kann ...

Norditalien: Im Wald nahe einem kleinen Bergdorfe wird die Leiche eines Mannes gefunden. Sein Gesicht ist völlig entstellt, um ihn herum sind Tierfallen aufgebaut. Ein Ritualmord? Die Profilerin Teresa übernimmt zusammen mit ihrem neuen Kollegen Massimo die Ermittlungen. Doch der Ort scheint ein düsteres Geheimnis zu bergen, das die beiden tief in die Vergangenheit bis hin zu einem mysteriösen Waisenhaus führt. Und während der Mörder sein nächstes Opfer ins Visier nimmt, wird der Fall für Teresa immer mehr zum persönlichen Albtraum. Sie hat das Gefühl, niemandem mehr trauen zu können – vielleicht nicht einmal mehr sich selbst ...

Info zur Autorin

Ilaria Tuti wollte als Kind immer Fotografin werden, studierte dann aber Wirtschaft. Sie liebt die Berge, malt gern und arbeitet unter anderem auch als Illustratorin für ein kleines italienisches Verlagshaus. Mit »Eiskalte Hölle« erfüllt sie sich den Traum vom Schreiben. Ihr spektakuläres Thrillerdebüt spielt im Nordosten Italiens, dort, wo Ilaria Tuti aufgewachsen ist. Die Autorin lebt im italienischen Friaul.

 

Auf dieses Buch war ich vom Klappentext sehr neugierig und eben auch mal eine andere Landschaft kennen zu lernen.

Meine letzten Bücher waren alles Thriller die in Schweden gespielt haben irgendwie haben mich die Schweden Thriller total angezogen.

Das Buch ist wirklich super und flüssig geschrieben und ich kam sehr gut in die Story rein.

Auch finde ich Teresa sehr interessant den sie will diesen Fall lösen kämpft aber auch immer wieder mit sich selbst.

Einige Stellen sind schon sehr Brutal aber gut es ist eben auch ein Thriller damit muss man eben auch rechnen.

Was ich auch sehr toll finde in dem Buch ist das man mitfiebern kann, es ist klar dass es weitere Opfer geben wird aber man hofft das es dann doch das letzte wird und das es keine Kinder Opfer geben wird.

Man taucht komplett in das Buch ab und ist Mitten im Buch. Ich würde mal sagen ich war einer der Dorfbewohner die immer in Sorge waren.

Auch das Ende ist erschreckend auch wen man sich gewisse Sachen schon ausmalen konnte zwar nicht in der Brutalität aber so in etwa.

 

Auch muss ich sagen das ich alle Charaktere sehr Interessant finde und jeder ist wirklich anders und hat seine eigene Geschichte. Commissario Battaglia und Inspektore Marini wachsen mit dem Fall immer weiter in das Geschehen rein. Die Junge Ermittler bringt einen leichten frischen und auch mal Lustigen Wind in die Geschichte. Na und dann ist da noch Teresa die eine Knallharte Profilern ist die aber auch sehr herzlich ist und eine Vielseitigkeit an sich hat die einfach toll ist.

 

Leseprobe

 

Österreich, 1978

Eine Legende lastete auf diesem Ort. Eine dieser Geschichten, die man genauso wenig loswurde wie einen Geruch. Im Spätherbst, bevor der Regen sich in Schnee verwandelte, stieß der Bergsee unheilvolle Seufzer aus, so hieß es. Wie Dampf erhoben sie sich aus dem Wasser, stiegen mit dem Morgentau zu den Gipfeln hinauf, wenn der hohe blaue Himmel sich in dem dunklen Gewässer spiegelte wie das Paradies in der Hölle. Dann konnte man lange Seufzer hören und ein Wimmern vom östlichen Ufer. Die Schule. So nannte man das im späten neunzehnten Jahrhundert errichtete Gebäude unten im Dorf. Einst war sie ein kaiserliches Jagdschlösschen gewesen, später ein Erholungsheim für tuberkulosekranke Kinder und schließlich ein Waisenhaus mit angeschlossener Schule. Heute herrschte Stille in den Gängen. Seit die staatlichen Zuwendungen immer knapper geworden waren und es kaum noch private Spenden gab, waren die Räume verwaist, und die Zeichen des Niedergangs mehrten sich.

Putz blätterte von den bröckelnden Mauern, die bemalten Stuckdecken verblichen. Und dann im November dieses Heulen, das aus dem Nebel aufstieg bis zu den Fenstern der oberen Stockwerke und zum Dach, wo der Raureif glänzte. Legenden allerdings waren etwas für Kinder und melancholische Alte, Menschen mit weichem Herzen. Also nichts für Agnes Braun. Sie lebte schon viel zu lange in der Schule, um sich von den alten Geschichten beeindrucken zu lassen. Sie kannte das Knarzen jedes Balkens, jedes Ächzen der alten Rohre in den Wänden. Agnes ging in die Küche im Untergeschoss, die zwischen Vorratsräumen und Waschküche lag, und holte einen Servierwagen. Sie manövrierte ihn an den großen Bottichen vorbei, aus denen bald Dampf und der Geruch von Sauberkeit aufsteigen würden, zu dem uralten Lastenaufzug. Sie war allein in dieser Stunde zwischen Nacht und Tag. Lediglich der Schatten einer vorbeihuschenden Ratte leistete ihr bisweilen Gesellschaft und die Umrisse der Kadaver, die im ehemaligen Kühlhaus abhingen. Sie zwängte sich mit ihrem Wagen in den Aufzug und fuhr in den ersten Stock hinauf. Seit einiger Zeit bereitete ihr diese Aufgabe Unbehagen, ein nicht näher zu bezeichnendes Unwohlsein, wie eine latente Krankheit, die nicht wirklich ausbrechen wollte. Quietschend setzte sich das betagte Gefährt in Bewegung, laut protestierten die Ketten und Seile, zitternd bewegte sich der Käfig nach oben, um nach wenigen Metern mit einem Ruck stehen zu bleiben.

Agnes öffnete die Gittertür und trat in den Flur hinaus, einen langen, blau gestrichenen Schlauch mit großen Sprossenfenstern, der wie alles hier dringend nach einer Renovierung verlangte. Ein Fensterflügel schlug klappernd. Agnes ging hin, um ihn zu schließen. Das Glas war kalt und beschlagen. Sie wischte eine Art Bullauge frei und beobachtete, wie die Sonne über dem Dorf und dem Tal aufging. Der kleine Ort lag ein ganzes Stück unterhalb der Schule und des Sees, dessen glatte Oberfläche sich rosa zu färben begann. Die Dächer der Häuser sahen aus wie kleine schieferfarbene Quadrate. Zwar war der Himmel klar, doch Agnes wusste aus Erfahrung, dass die Sonne die Felsen hier oben auf siebzehnhundert Metern Höhe heute nicht erwärmen würde. Nicht umsonst hatte sie schon beim Aufstehen gespürt, dass ein Migräneanfall sich anbahnte. Der Nebel zog bereits auf und würde bald alles verschlucken: das Licht, die Geräusche, selbst die Gerüche dieses nach Elend stinkenden Ortes. Aber während er über das gefrorene Gras herankroch, erweckte er das Wimmern zum Leben. Der Atem der Toten, dachte Agnes. Es war der Wind, der Buran, der aus Nordosten blies, der ihn herantrug. Er kam von weit her, aus fernen Steppen, hatte Tausende Kilometer zurückgelegt, bevor er von dem engen Tal eingesogen wurde, gegen die Flussufer blies, in den Wald fegte, um dann pfeifend wiederaufzutauchen und schließlich an den Felsen zu zerschellen.

Unsinn, rief sie sich zur Ordnung, es war nur Wind. Die Standuhr am Eingang schlug sechs. Es war spät geworden, dennoch blieb Agnes unbeweglich stehen. Sie wusste, dass sie trödelte, und sie wusste auch, warum. Alles nur Einbildung, sagte sie sich noch einmal. Sie atmete tief durch, packte den Griff des Wagens fester und schob ihn energisch auf die Tür am Ende des Flures zu. Das Nest. Ihr Magen verkrampfte sich bei diesem unvermuteten Gedanken. Es war tatsächlich ein Nest, in den vergangenen Wochen war es dazu geworden. Auf geheimnisvolle Weise arbeitete es darin. Wie bei einem Insekt, das sich auf seine Verpuppung vorbereitete. Agnes wusste es genau, auch wenn sie sich nicht erklären konnte, was wirklich in diesem Saal geschah. Sie hatte mit niemandem darüber gesprochen, nicht einmal mit dem Direktor – er würde sie für verrückt halten. Sie steckte die Hand in die Tasche ihrer Schwesterntracht. Ihre Finger tasteten nach dem rauen Stoff der Haube, zogen sie heraus und stülpten sie über Kopf und Gesicht. Der dünne Stoff bedeckte sogar die Augen und verhüllte sie vor den Blicken der Welt, so verlangte es die Vorschrift. Sie trat ein. Es war still. Der gusseiserne Ofen verbreitete nach wie vor angenehme Wärme, folglich mussten noch einige der Scheite glimmen, die sie gestern Abend aufgelegt hatte.

Die Betten waren in vier Zehnerreihen aufgestellt. Keines trug einen Namen, auf den Schildern standen lediglich Nummern. Man hörte weder Weinen noch Rufen. Agnes wusste, was sie erwartete: ausdruckslose erloschene Augen, sie brauchte gar nicht erst hinzuschauen. Bei einem Bett allerdings war das anders. Jetzt, da sie sich an die Stille gewöhnt hatte, konnte sie es hören. Ganz hinten regte sich etwas. Sie wappnete sich. Vielleicht wurde sie tatsächlich verrückt. Schritt für Schritt näherte sie sich dem Bett mit der Nummer neununddreißig. Dieses Wesen hier war voller Leben, seine Augen waren hellwach und aufmerksam und folgten jeder ihrer Bewegungen, suchten ihren Blick hinter dem Schleier. Agnes erkannte, dass Nummer neununddreißig sich ihrer Anwesenheit sehr wohl bewusst war, wenngleich es nicht so sein sollte. Vorsichtig sah sie sich um, ob jemand sie beobachtete, dann streckte sie einen Finger aus. Nummer neununddreißig schnappte zu, und ihre Zähne gruben sich tief in ihr Fleisch. In den Augen lag ein Ausdruck von Besessenheit. Als Agnes den Finger fluchend zurückzog, kam ein kurzes Stöhnen über die Lippen des Wesens. Da zeigte sich sein wahres Wesen, dachte Agnes. Ein Fleischfresser. Doch das, was dann geschah, machte ihr klar, dass sie ihre Beobachtungen nicht mehr für sich behalten durfte. Auch in den Betten rund um Nummer neununddreißig war es nicht mehr still. Agnes hörte sich beschleunigende Atemzüge, als folgten die Bewohner des Saales einem gemeinsamen Ruf. Das Nest begann zu brodeln. Aber vielleicht bildete sie sich das alles bloß ein.

 

Heute

Der Rabe lag am Wegesrand, die violett schimmernden Federn zerzaust, der Schnabel weit geöffnet. Das Blut unter seinem aufgeblähten Bauch war trocken, obwohl der Nachmittag feucht und kalt war. Wie lange mochte das arme Tier hier bereits liegen, ein totes Auge zum Himmel gerichtet, aus dem es bald schneien würde? Mathias ging neben dem Vogel in die Knie und betrachtete ihn eingehend. Unwillkürlich fragte er sich, ob die Flöhe den Körper verlassen hatten, sobald das Herz aufgehört hatte zu schlagen. Das hatte er mal in einem Gespräch mit einem Jäger gehört, und seitdem ließ es ihn nicht mehr los. So etwas interessierte ihn. Er fand die Überlegung absonderlich und faszinierend zugleich. Vorsichtig tippte er den Raben mit der Fingerspitze an. Der Vogel war alt, das sah man an dem nackten weißen Schnabel. Die Beine waren steif, die kräftigen Krallen ragten ins Nichts. Rasch wischte er den Handschuh an der Hose ab. Wenn sein Papa das gesehen hätte, hätte er auf der Stelle eine Ohrfeige dafür bekommen.

Schon häufig hatte er ihn dabei erwischt, wie er sich die Kadaver kleiner Tiere interessiert anschaute, die er im Garten oder in dem Kiefernwäldchen hinter dem Haus entdeckte, und ihn dafür gescholten und dabei ein Wort benutzt, das Mathias nicht kannte, das sich aber schrecklich anhörte. Er hatte es im Wörterbuch nachgeschlagen. Er wusste nicht mehr genau, wie es geheißen hatte, aber es hatte etwas mit Wahnsinn zu tun gehabt. Wenn er groß war, wollte Mathias Tierarzt werden, und er nutzte jede Gelegenheit, um etwas zu lernen. Genau zu beobachten, hatte der Großvater ihm einmal gesagt, mache den größten Teil von dem aus, was er brauche, der Rest sei ausprobieren, immer wieder ausprobieren. Der Junge stand auf, die Augen nach wie vor auf den kleinen Kadaver gerichtet. Er hätte ihn gerne begraben, aber so war es richtiger: Die Natur bestand in fressen und gefressen werden, sie hungerte nach diesen Resten. Nichts wurde verschwendet. Die Kirchenglocken schlugen halb drei. Er musste sich beeilen, die anderen würden bestimmt schon am Geheimversteck auf ihn warten. Er folgte dem mit Eis überzogenen Pfad. Travenì war an diesem Morgen unter einer Schicht aus Schnee erwacht. Nicht viel und viel zu schnell wieder geschmolzen, aber es ließ auf den Beginn der Skisaison hoffen. Als er am Denkmal für die Gefallenen der Napoleonischen Kriege vorbeikam, das zwischen niedrigen Pinien und Fichten auftauchte, sah er zu dem Bronzegrenadier hoch, der mit finsterer Miene den Horizont abzusuchen schien, die langen Bartenden nach oben gezwirbelt.

An seinem Bajonett wehte ein blauer Schal. Einer aus ihrer Gruppe musste schon da sein, wahrscheinlich Diego. Mathias ging schneller. Heute Morgen hatte ihnen die Lehrerin die Bedeutung des Wortes Leader erklärt. Er war fasziniert gewesen. Ihm gefiel sein Klang, es hörte sich irgendwie endgültig an – aber vor allem gefiel ihm der Gedanke, dass er auch ein Anführer war. Ein Leader beschütze seine Gefährten, hatte die Lehrerin gesagt, und genauso fühlte er sich. Er hatte in seiner Gruppe nicht nur deshalb das Sagen, weil er mit seinen zehn Jahren der Älteste war, sondern weil alle wussten, dass sie sich auf ihn verlassen konnten. Deshalb hätte am Denkmal eigentlich sein Schal hängen müssen, er hätte als Erster dort sein sollen, um ihnen zu zeigen, wo sie langgehen sollten. Das nämlich war die Aufgabe eines Anführers. Bloß war er zu spät gekommen wegen des toten Raben. Mathias seufzte. Vielleicht hatte sein Vater ja doch recht. Das Denkmal war von steilen Felsen umgeben, die ein Flussbett säumten, und ganz tief unten konnte man das Wasser zwischen den dunklen Steinen gurgeln hören. Ein schmaler, steiler Pfad führte in Serpentinen nach unten. Leichtfüßig sprang Mathias hinunter, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen. Die Steine rollten unter seinen Turnschuhen, immer wieder musste er die Hand zu dem einfachen Holzgeländer ausstrecken, um nicht auszurutschen.

Als er unten ankam, war er völlig außer Atem, seine Knie zitterten, und sein Gesicht glühte. Der Gebirgsfluss hatte sich über Jahrtausende in die Schlucht gegraben, die Menschen hatten daran entlang einen Weg in den Berg gehauen, Treppenstufen aus Eisen und Holz errichtet, um die Schlucht passierbar zu machen, selbst wenn der Fluss viel Wasser führte. Unter den Gittern der Stufen schäumte das grünliche Wasser, die Gischt roch nach Eis. Selbst im Sommer reichten das Licht und die Wärme der Sonne nicht bis auf den Grund. Mathias sah sich um. Niemand außer ihm war hier, und er hörte nichts außer seinem Atem und seinem Herzschlag. Zu dieser Jahreszeit verirrte sich kein Tourist hierher, die fuhren lieber Ski auf den sonnigen Hängen. Er beschleunigte seinen Schritt, ohne genau zu wissen, warum. Hoch oben über ihm, zwischen den Baumwipfeln, war die alte Eisenbahnbrücke zu sehen, über die seit Langem keine Züge mehr fuhren. Sein Ururgroßvater hatte beim Bau mitgearbeitet, vor fast hundertfünfzig Jahren. Da war er noch nicht mal auf der Welt gewesen. Als er nach oben schaute, rutschte er auf einer vereisten Stelle aus, fiel aufs Knie und schrie überrascht auf. Im selben Augenblick hörte er ein Geräusch aus dem Wald. Einen leisen Schrei. Er hielt den Atem an und schaute sich um. »Der Wald ist kein Ort für Kinder.« Die mahnenden Worte seiner Mutter schossen ihm durch den Kopf.

Er rappelte sich auf, ohne auf die schmutzigen Jeans und die brennenden Hände zu achten, die er sich trotz der Wollhandschuhe aufgeschrammt hatte. Es war nicht mehr weit. Nur noch um die Felsnase herum – auf einer Seite Moos, auf der anderen das strudelnde Wasser –, und dann durch den kurzen Tunnel. Mathias rannte die paar Meter durch die Dunkelheit des Felsgewölbes und redete sich ein, dass ihn die Eile trieb und nicht die Angst. Auf der anderen Seite angekommen, hielt er an. Ein Sonnenstrahl drang durch das Grün und ließ das Unterholz golden aufleuchten. Der Wasserfall, der den Fluss speiste, stürzte sich über ihm vom Berg herab, und Tausende Tropfen sprühten durch die Luft. Im Sommer leuchteten sie in allen Regenbogenfarben, wenn ein Sonnenstrahl darauf fiel. Unten an dem kleinen Kiesstrand saßen seine Freunde frierend auf den Felsbrocken und warteten. Lucia, Diego und Oliver. Ihr Anblick genügte, um alle Ängste zu verscheuchen. Er lächelte. Niemand war hinter ihm her. Keiner war ihm gefolgt. Noch einmal schaute er sich herausfordernd zu der dunklen Mündung um. Er hatte gewonnen, er war wirklich ein Leader, dachte er triumphierend. Doch dann erlosch sein Lächeln. Plötzlich war er sicher. Da war jemand, versteckt in der Dunkelheit, und er beobachtete ihn.

Der mit Raureif überzogene Körper lag im Gras. Die blasse Haut bildete einen harten Kontrast zu dem schwarzen Kopf- und Schamhaar. Im Hintergrund das dumpfe Grün der Bergwelt. In den Schatten am Rande der Wälder hielten sich hartnäckig schmutzige Schneefelder. Über Nacht hatte es ein wenig geschneit, Eiskristalle hingen an den Wimpern der Leiche. Der Mann lag auf dem Rücken, die Arme am Körper, eine Hand ruhte auf einem Mooskissen. Keine Hinweise auf einen Kampf, zwischen den Fingern streckten ein paar Winterblumen ihre blassen, durchscheinenden Blütenblätter in die Luft. Das Ganze wirkte wie ein sorgsam arrangiertes Stillleben in den Farben erkalteten Blutes, blauer Adern und starrer Glieder. Der Frost hatte alles konserviert. Es roch nicht nach Verwesung, in der Luft hing nur der Geruch nach feuchter Erde und faulenden Blättern. Jemand hatte ihn sorgfältig so hergerichtet. Rund um den Fundort waren einfache Fallen aus Schnüren und Knoten aufgestellt. »Um die Tiere von dem Toten fernzuhalten. Der Täter wollte, dass wir die Leiche unversehrt vorfinden«, sagte eine raue Stimme.

Die Lippen bewegten sich vor dem Mikrofon des Handys, man konnte Atemwölkchen sehen. Die Spurensicherung war vor Ort, weiße Overalls, blitzende Fotoapparate, Scheinwerfer, die die Szenerie beleuchteten. »Eindeutig ist er keiner schweren körperlichen Arbeit nachgegangen, die Hände sind glatt, der Ehering hat keine Kratzer, die Nägel sind gepflegt.« Der Ehering an der linken Hand glänzte sogar im bleichen Dezemberlicht. Während der Rest des Körpers unversehrt war, wies das Gesicht Spuren eines heftigen Angriffs auf. Ebenso der Hals, an dem Blutgefäße geplatzt waren und wo sich tiefblaue Striemen gebildet hatten. Kurz vor seinem Tod musste er sich sorgfältig rasiert haben. Der leichte Bartschatten rührte daher, dass sich die Haut post mortem zurückgezogen hatte. »Für die Verletzungen gibt es zu wenig Blut. Wahrscheinlich befindet es sich auf der Kleidung, die man ihm ausgezogen hat.« Rund um den Leichnam, auf dem Boden in Eis und Matsch, fanden sich reichlich Fußabdrücke. Das wirkte nachlässig und stand im Widerspruch zu der Sorgfalt, mit der das Stillleben drapiert worden zu sein schien. Immerhin wussten die Ermittler inzwischen, dass die Abdrücke Schuhgröße fünfundvierzig entsprachen, was auf einen stattlichen Täter hinwies. Auch das Opfer war groß gewesen. Und muskulös. Weder an Armen, Handgelenken noch an den Fußknöcheln waren Spuren von Fesseln zu sehen. Der Mann musste mit schier unmenschlicher Kraft überwältigt worden sein. Er muss den Mörder gekannt haben, sonst hätte er sich besser verteidigt. Was er wohl gedacht hat, als er begriff, dass er sterben würde? Aus der erstarrten Miene des Opfers, seinen geschlossenen Lippen und Augen ließen sich keine Antworten ablesen. Auffällig war, dass der Tote offen neben einer Art Kanal abgelegt worden war, den der Gebirgsfluss sich hier gegraben hatte. Während der Saison verlief hier einer der Hauptwanderwege für Touristen. Wanderer hatten die Leiche vor wenigen Stunden gefunden. Was weder Zufall noch Unachtsamkeit entsprang: Der Mörder hatte den Toten nicht verstecken wollen. »Ich sehe keine Anzeichen für ein Sexualverbrechen, und doch hat er ihn ausgezogen.« Der Leiter des örtlichen Polizeireviers hatte ihn als einen Familienvater identifiziert, der vor zwei Tagen verschwunden war, nachdem er seinen Sohn in die Schule gebracht hatte. Sein Auto stand etwa hundert Meter entfernt von der Leiche auf einem Hang versteckt unter Bäumen. Es war zweifelsfrei dorthin geschoben worden, wie Reifen- und Fußspuren bewiesen. »Der Mörder war eindeutig zu Fuß unterwegs, die Abdrücke seiner Schuhe führen in den Wald.« Commissario Battaglia drückte die Pausentaste und schaute in den Himmel. Über ihren Köpfen krächzten ein paar Raben.

Wahrscheinlich würde es bald wieder schneien, und die Spuren würden zum Teufel sein. Die Zeit drängte. Sie mussten schneller und effektiver arbeiten. Mit knirschenden Kniegelenken richtete Battaglia sich auf. Machte sich etwa das Alter bemerkbar? Oder das überschüssige Gewicht, das sich im Laufe der Zeit angesammelt hatte? Jedenfalls fiel es immer schwerer, auf den Knien herumzurutschen und nach Spuren zu suchen. »Beeilt euch mit der Beweisaufnahme!« Die Männer von der Spurensicherung nickten. Weiße schweigende Schatten, die sich mit Details beschäftigten, die nur dem geschulten Auge erklärlich waren. Sie machten Fotos, entnahmen Proben, klassifizierten die Beweise und tüteten sie ein. Nichts durfte verunreinigt werden, sonst ließ sich keine DNA mehr abgleichen. Alles musste in einwandfreiem Zustand im Labor der Rechtsmedizin abgegeben werden, in der weit entfernten Stadt, wo die detaillierte Auswertung stattfand. Die Ankunft der Polizei hatte naturgemäß ein paar Schaulustige angelockt, Touristen wie Einheimische, die sich bei dem Verkehrsschild versammelt hatten, auf dem zu lesen stand, dass es bis Travenì noch vier Kilometer waren. Die Einheimischen waren leicht zu erkennen, sie trugen weder Skianzüge, noch wiesen sie die typische Skipistenbräune auf. Ihre Kleidung war bäuerlich, ihre Haut gegerbt und gerötet von Wind und Wetter. »Wir haben seine Anziehsachen gefunden«, ertönte eine Stimme aus dem Wald………….

 

 

 

 

 

 

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