Was ihr nicht Seht


Kate ist eine mutige Frau, die als Kriegsreporterin kein Risiko scheut. Ihre Vergangenheit an der südenglischen Küste hat sie lange hinter sich gelassen. Erst als ihre Mutter stirbt, kehrt sie zurück nach Herne Bay, wo ihre Schwester Sally noch immer lebt. Aber Kate spürt vom ersten Tag an, dass die Heimkehr unter keinem guten Stern steht. Sie hat furchtbare Albträume und hört Stimmen, die ihr keine Ruhe lassen. Und so glaubt ihr auch niemand, als sie meint, die Schreie eines Jungen aus dem Nachbargarten zu hören. Doch Kate will der Sache auf den Grund gehen – nicht ahnend, dass sie und ihre Schwester dadurch in tödliche Gefahr geraten …

 

Die Hauptpersonen sind Kate und Ihre Schwester Sally. 

Kate kehrt nach Jahren wieder zurück in ihre Heimat nach dem die Mutter gestorben ist. Sally ist nie aus Herne Bay weggezogen. Durch die Erlebnisse als Kriegsreporterin leidet Kate an Schlafstörungen. Sie hört Nachts Schreie aus dem Nachbargarten von einem Jungen. Oder ist das einfach eine Halluzination? Niemand glaubt ihr dass sie die Schreie hört. Nach dem sie immer wieder die Schreie hört geht sie der Sache auf den Grund nichts ahnend das sie dabei sich und auch Sally in Gefahr bringt.

 

Ich muss sagen mir hat das Buch sehr gut gefallen der Anfang war etwas sehr Roman mäßig was sich aber schlagartig ändert und dann der Psychothriller durchkommt.

 

 

 

Leseprobe

Prolog

 Jetzt ist sie in Sicherheit. Frei von ihren Dämonen. Ihre letzte Ruhestätte ist still und friedlich, eine kleine, ruhige Zuflucht im Wasser. Das hätte ihr gefallen, denke ich bei mir, als ein Ausflugsboot in den Hafen einfährt. Sie hätte das passend gefunden. Es fällt mir schwer zu glauben, dass sie nach einem so gewaltsamen Tod jemals Frieden findet, doch ich hoff e es. Meine Schwester. Meine schöne Schwester. »Gute Reise«, flüstere ich. Und als ich ihre Asche ins Wasser streue, seufze ich ganz tief. Vielleicht ist dies das Ende. Das Boot füllt sich mit Touristen. Ihre aufgeregten Stimmen erfüllen die Luft, während wie hier stehen, drei gebrochene Seelen beim letzten Abschied. Ich sehe zu, wie sie verschwindet, und plötzlich kommt mir wieder der Gedanke, der mich verfolgt, seit sie tot ist. Wie ist es möglich, dass ausgerechnet ich diejenige bin, die überlebt hat?

Teil Eins              

Herne Bay, Polizei Sonntag, 19. April 2015 10:30 Uhr »Soll ich die Frage noch einmal stellen?« Die Ärztin spricht mit mir, aber über die Stimmen hinweg ist sie kaum zu verstehen. »Kate?« Die Ärztin rutscht auf ihrem Stuhl hin und her. »Entschuldigung, könnten Sie das wiederholen?« Ich versuche, mich zu konzentrieren. »Ist es besser, wenn ich das Fenster zumache? Draußen ist es ziemlich laut.« Die Ärztin will aufstehen, aber ich strecke die Hand aus, um sie aufzuhalten. Als sie zusammenzuckt, wird mir klar, dass sie meine Geste womöglich als aggressiv missverstanden hat. »Nein«, sage ich. Die Ärztin nimmt verlegen wieder Platz. »Schon gut. Ich dachte nur, ich hätte etwas gehört  … aber nein. Es ist nichts.« Ich darf ihr nicht von den Stimmen erzählen. Sie nickt und deutet ein Lächeln an. Das ist vertrautes Terrain für sie. Akustische Halluzinationen, Stimmen im Kopf. Für sie als klinische Psychologin wird das der wahre Himmel sein. Sie nimmt ihr Notizheft und richtet den Stift auf eine neue Seite.

»Schön«, sagt sie. Ein silbernes Funkeln ringt mit den Strahlen der Morgensonne, als ihr Stift über das Papier fährt. »Was Sie da hören, Kate, könnten Sie es mir beschreiben? Sind es erkennbare Stimmen?« »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, antworte ich. »Fällt es Ihnen schwer, sie zu unterscheiden?« »Jetzt passen Sie mal auf. Ich weiß genau, was Sie hier machen«, sage ich barsch. »Aber es wird Ihnen nicht gelingen, denn ich bin nicht das, wofür Sie mich halten.« »Wofür halte ich Sie denn?« »Für eine Verrückte, die Stimmen hört, Dinge sieht, sich irgendetwas vorstellt. Sie glauben, das würde alles in meinem Kopf stattfinden.« Aber während ich spreche, kommen sie wieder, werden lauter und leiser, als würde man im Radio nach einem Sender suchen. Shaw sagt etwas, aber ich verstehe sie nicht, wegen der Schreie. Die alte Frau heult, der junge Vater läuft durch die Straßen, den zerfetzten Körper seiner kleinen Tochter in den Armen. Meine alten Getreuen, sie kommen immer zu mir zurück, wenn ich unter Stress stehe. Ich kann nichts dagegen tun. Ich lege mir die Hand auf die Ohren und behalte sie dort. Die Stimmen werden zu einem tiefen Brummen, als würde man sich eine große Meeresschnecke ans Ohr halten. Vor meinem geistigen Auge erscheint meine Mutter, die Wange an meine gedrückt. Hör genau hin, Schatz, hörst du es? Das ist das Meer, das zu dir spricht. Und ich glaubte ihr. Ich glaubte, das Meer läge im Inneren der Muschel verborgen, obwohl ich in Wahrheit nur die Luft in dem gerundeten Gehäuse vernahm. Ich glaubte ihr, weil ich es musste. Sie war meine Mutter, und sie log nie. »Kate?« Shaw bewegt die Lippen. Sie sagt meinen Namen. Ich starre die Ärztin einen Moment lang an, und sie erwidert meinen Blick.

Ihre Augen sind schmutzig grün, die Farbe des Wintermeers in meinem Kopf. Es wird jetzt lauter, die Wellen schlagen gegen die Felsen. »Kate, bitte.« Shaw will aufstehen. Sie wird Hilfe holen. Ich zwinge mich, die Hände wieder von den Ohren zu nehmen und sie ineinander zu verschränken. Das Peridot-Arm[1]band, das Chris mir zu unserem achten Jahrestag geschenkt hat, rutscht hinunter und sammelt sich an meinem Handgelenk. Ich fahre mit dem Finger über die Oberfläche und reibe die grünen Steine wie eine Wunderlampe. Wünsch dir was, denke ich bei mir. Ich erinnere mich an den Abend, an dem mir Chris das Armband geschenkt hat. Wir waren in Venedig. Es war Karnevalszeit, und als wir uns durch die nebligen Straßen drängten und die kunstvollen Kostüme der Feiernden bewunderten, steckte er mir etwas in die Tasche. »Auf die nächsten acht Jahre«, flüsterte er, als ich mir das Armband am Handgelenk befestigte. Ich schließe die Augen. Bitte bring ihn mir zurück. »Wie haben Sie in letzter Zeit geschlafen?«, fragt Dr. Shaw. »Hatten Sie Albträume?« Ich schüttle den Kopf und versuche, mich zu konzentrieren, aber ich kann nur an Chris und die Reise nach Venedig denken. Der Geruch des venezianischen Kanalwassers hängt in der Luft. »Das ist sehr hübsch.« Shaw zeigt auf das Armband. »Angeblich schützt der Peridot vor Albträumen«, flüstere ich. Ich reibe den Stein weiter mit Zeigefinger  und Daumen. Die Geste ist merkwürdig beruhigend. »Funktioniert der Stein, Kate?« Sie wird nicht lockerlassen. Ich trinke einen Schluck Wasser aus dem Plastikbecher, den sie mir vor einer Stunde gegeben haben. Es ist lauwarm und riecht nach Chemikalien, aber alles ist besser als der Gestank der Kanäle. »Gelegentlich träume ich schlecht.« Ich wische mir den Mund mit dem Handrücken ab. »Das ist aber doch normal. Die letzten Wochen waren hart.« Während Shaw weiterschreibt, starre ich auf meine Füße. Einen Augenblick lang sehe ich Körperteile, zugekleistert mit Schlamm, wie ein makabres Puzzle. 

Die Ärztin hat mich nach meinen Albträumen gefragt, aber wo soll ich anfangen? Soll ich ihr erzählen, wie ich in rasch ausgehobenen Gräbern stand und merkte, wie meine Füße in die Erde sanken, die Zehen nass von Körperflüssigkeiten? Soll ich ihr von den endlosen schwarzen Nächten erzählen, in denen ich aufwachte und um Lärm flehte, um irgendein Geschwätz, um alles Mögliche, nur damit ich nicht das unentwegte Schweigen der Toten hörte? Nein, denn dann bestätige ich bloß ihre Vermutungen. Ich muss mich weiter konzentrieren und ihr einen Schritt voraus sein, sonst ist alles vorbei. Ich reibe den Peridot zum Schutz, als Shaw aufhört zu schreiben und aufblickt. »Und würden Sie sagen, dass diese Albträume seit Ihrer Rückkehr nach Herne Bay schlimmer geworden sind?« Ich stelle den Becher zurück auf den Tisch und richte mich in meinem Stuhl auf. Ich muss aufhören, die Gedanken schweifen zu lassen. Ich muss wachsam sein, vorsichtig. Jedes Wort, das ich hier von mir gebe, kann gegen mich verwendet werden. »Nein, schlimmer sind sie nicht geworden.« Ich bemühe mich, ruhig zu sprechen. »Aber real.

 

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