Schären Nacht

 

Die Krimi-Entdeckung aus Schweden!
 »Am schwedischen Krimihimmel ist ein neuer Stern aufgegangen. Lina Areklew hat mich von der ersten bis zur letzten Seite in Atem gehalten.« Lina Bengtsdotter


 Sofia Hjortén ist in ihre Heimat Ulvön, eine kleine Insel im Schärengarten der Höga Kusten zurückgekehrt. Nach einem Schicksalsschlag steht ihre Karriere als Kommissarin in Stockholm still, der Polizeidienst in der malerischen Küstenregion ist unaufgeregt. Doch dann wird an Mittsommer ein Mann grausam am Bootssteg erschlagen. Die Mordermittlungen spülen für Sofia vergessene Gefühle an die Oberfläche, denn dringend tatverdächtig ist ihr ehemaliger Freund Fredrik Fröding. Sofia will Fredriks Unschuld beweisen und kommt auf die Spur erschütternder Ereignisse, die sich tief in das Leben der Inselbewohner gebrannt haben ...

 

 

Schären Nacht ist der Erste Teil einer hoffentlich Spannenden Kriminalromane von Lina Areklew.

Ich bin ein Fan von Schweden Krimis sie haben immer das gewisse Etwas so hat mich dieses Buch auch gereizt.

Die Umgebung ist super toll beschrieben und auch die Charaktere sind lebhaft und authentisch beschrieben. Es wird viel über Sofia erzählt um sie gut kennenzulernen aber es ist nicht übermäßig eben immer nach und nach und auch hat man das Gefühl das da noch viel mehr in der Vergangenheit von Sofia ist.

Der Anfang ist etwas holprig aber trotzdem Spannend. Es macht trotzdem Spass zu lesen es kommen immer mehr Hinweise zu Tage und auch merkt man das es doch tiefer geht als Gedacht und auch die Wendungen im Fall macht es Spannend. Das Ende ist schon raffiniert gemacht und gut erzählt.

Auch dieser Schweden Krimi hat sich wieder gelohnt und ich bin schon gespannt auf die weiteren Bücher.

 

Leseprobe

Prolog

 M/S Estonia, 28. September 1994 

Der Pullover ist in der Schwimmweste hängen geblieben, der Rücken ist nackt. Die Schuhe sind weg, vielleicht noch da drinnen, aber er spürt keine Kälte. Eine Frau ruft herzzerreißend, fleht ihn um Hilfe an, doch er hat weder die Zeit noch die Möglichkeit, etwas zu tun. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, lässt er sie zurück, wirft sich an die Reling. Menschen kämpfen um ihr Leben, um festen Halt, während das Schiff krängt. Soll er versuchen, wieder unter Deck, zurück zu Mama und Papa zu kommen? Irgendetwas sagt ihm, dass er jetzt auf sich gestellt ist. Er muss es allein schaffen. Mit neuer Entschlossenheit hievt er sich über die Reling. Das Schiff krängt mit jeder Woge mehr, und schon bald kann er die Außenseite der Fähre hinunterrutschen. Er schaut auf das krängende Schiff hinunter und denkt, dass es wie ein sterbender Wal aussieht, dessen weißer Bauch direkt über die Wasseroberfläche blitzt. Und es befinden sich noch viele Menschen in seinen Eingeweiden. Angst brennt in seinem Brustkorb, aber er bewegt sich weiter. Die Füße rutschen über den Metallrumpf vorwärts.

In der Dunkelheit stößt er auf andere. Verwirrte und panische Menschen, die alle auf die Welle warten, die sie hinaus in die schwarze Leere mitreißen wird. Überall sind verzweifelte Rufe nach den Liebsten zu hören. Wieder denkt er an Mama und Papa. Er hat die Eltern nicht mehr gesehen, seit er sich inmitten der Kette von Menschen die sich neigenden Treppen hochgezogen hat. Er tritt auf eines der Fenster, spürt den Unterschied zwischen dem dicken Plastik und dem kalten Rumpf. Die Kajüte dahinter ist leer. Die Familie, die dort geschlafen hat, muss es raus geschafft haben. Decken, Kissen und Taschen liegen durcheinander gewürfelt auf der geschlossenen Tür. Ein rosafarbener Teddybär ist in der Garderobe festgeklemmt. Die Beleuchtung blinkt ein letztes Mal auf, dann wird es dunkel, und der gellende Ton des Signalhorns ist zu hören. Der Himmel wird von Notraketen rot erleuchtet. Die ganze Welt ist gekentert. Er hebt den Blick und sieht eine Welle nach der anderen über die Rettungsinseln schlagen, die zu Wasser gelassen wurden. Der Wind nimmt sie hoch und lässt sie über die Wasseroberfläche kreiseln. Jetzt muss er sich entscheiden. Bleiben und mit in die Tiefe gezogen werden oder sich in das eiskalte Meer stürzen. Man kann das hier nicht überleben. Das begreift er. Das Leben wird in dieser Nacht zu Ende gehen.

DONNERSTAG, 20. JUNI 2019

Der Mageninhalt schoss in einem ungebändigten Schwall aus Fredrik Frödings Mund. Als er zwischen den Würge anfallen Luft zu holen versuchte, brannte es ihm in der Nase. Vor der Kloschüssel kniend, die eine Hand um den Toilettenpapierhalter gekrallt, beförderte er den letzten Rest aus sich heraus. Er erhob sich auf zitternden Beinen und fuhr zusammen, als er sein Spiegelbild sah. Das Weiß seiner Augen war hellrosa und von grellroten Blutgefäßen durchzogen, die sich bis in die Iris hinein schlängelten. Beim Anblick seines grauen Gesichts und der unrasierten Wangen wendete er den Blick ab. Er wollte einen Schritt Richtung Tür machen, aber seine Beine trugen ihn nicht, und er sackte zusammen. So blieb er auf dem Badezimmerteppich liegen, den Blick auf die verstaubte Plastikverkleidung um das Abflussrohr des Handwaschbeckens gerichtet, und versuchte, den Raum dazu zu bringen, sich nicht mehr zu drehen. Es waren wieder zu viele gewesen. Nach den ersten beiden Tabletten hatte er weniger als eine halbe Stunde gewartet, bis er zwei weitere genommen hatte. Jetzt war  der Blister leer. Der Alkohol hatte die Wirkung verstärkt, und die Begleiterscheinungen hatten nicht auf sich warten lassen.

Wie ein Sandsack traf ihn der Schwindel, und dann kamen auch schon die Übelkeitsanfälle. Seit seiner allerersten Tablette war ihm immer wieder dringend ans Herz gelegt worden, die angstdämpfenden Medikamente nicht mit Alkohol zusammen einzunehmen. All die Jahre war er in der Hinsicht sehr vorsichtig gewesen. Der letzte diesbezügliche Fehler war ihm an der Uni unterlaufen, das war bald fünf[1]zehn Jahre her. Damals war er mit seinen ausgeschlagenen Vorderzähnen in der Hand in einem fremden Hauseingang aufgewacht. Fredrik blieb noch ein Weilchen auf dem Badezimmerteppich liegen und wartete, bis sein Atem sich beruhigte. Aber bald musste er aufstehen. Wenn er sich nicht aufraffte, die Treppe hinunter- und zur U-Bahn ging, würde er die Stunde bei Torsten Bredh verpassen. Er versuchte, den Weg vor sich zu sehen, und bildete sich ein, dass sich der Knoten in seinem Innern mit jedem Schritt, den er in Gedanken unternahm, ein wenig mehr löste. Mit einer Kraftanstrengung gelang es ihm, auf alle viere zu kommen. Die Beine sackten noch einmal unter ihm weg, doch am Ende stand er, ohne zu schwanken, auf dem kalten Plastikteppich. Indem er sich an der Badezimmerwand abstützte, schob er sich zur Dusche vor und drehte den Hahn auf. Schon bald stieg Dampf über dem Duschvorhang auf. Vorsichtig ließ er die Wand mit der einen Hand los und zog sich die Boxershorts aus, vermied aber, sich im Spiegel über dem Waschbecken anzusehen, als er nackt unter das brühheiße Wasser stieg.

Fünfundvierzig Minuten später stand er draußen auf dem Karlavägen. Menschen hechteten vorbei, genau wie immer, mit Tüten in den Händen und gestressten Mienen. Scheinbar völlig unwissend in Bezug darauf, wie schnell sich das Leben ändern konnte. Fredrik beneidete sie. Er fantasierte gern über die Menschen, die ihm unten, wo früher das Esplanad-Kino gewesen war, im ICA-Supermarkt begegneten. Verschwitzte Väter mit kleinen Kindern an den Händen, die durch Taco- und Gemüseregale pflügten. Wenn er nur einer von ihnen sein könnte. Einer, der das freitägliche Abendessen plante, Windeln wechselte, All-inclusive-Familienreisen unternahm. Er zog den Reißverschluss der Lederjacke hoch, ging vornübergebeugt die Treppen hinunter und nahm Kurs auf die Rolltreppe jenseits der Absperrungen zur U-Bahn. Auf der obersten Treppenstufe ließ er sich erschöpft nieder und rieb sich keuchend das Gesicht. Menschen räusperten sich und seufzten laut, während sie sich vorbeidrängelten, doch er tat so, als würde er sie nicht bemerken. Er schloss die Augen und hielt das Gesicht in die kühle Luft, die sich ihren Weg aus den dunklen Tunneln herauf bahnte. Er stellte sich vor,  dass sie Schwindel und Übelkeit mit sich fegen würde. Dieses Mal hatte sich die Angst fast fünf Jahre lang nicht blicken lassen. Fünf Jahre Ruhe, doch jetzt war alles mit einer Macht zurückgekehrt, die ihn erschreckte. Er wusste, was der Auslöser gewesen war, hatte sich aber nicht davor schützen können. Es war wie eine Kraft, die an ihm zerrte, und er ertappte sich selbst dabei, wie er im Zeitungskiosk stand und in Sonntagsbeilagen mit Headlines wie »Das Leben nach Estonia« blätterte oder Artikel von Müttern mit süßen Kindern an der Hand verschlang, die am Djurgårds-Denkmal Blumen ablegten: »Elsa durfte ihre Großmutter nie kennenlernen.« Zudem hatten die Journalisten und Fotografen ihn, obwohl so viele Jahre vergangen waren, immer noch im Visier.

Manchmal waren es nur ein paar wenige Interviews um den Jahrestag herum. Dann wieder mehrere am Tag. Die runden Jahrestage waren am schlimmsten, aber inzwischen gaben sie immer schneller auf. Es war nicht mehr wie am Anfang, als sie mehr oder weniger vor dem Krankenhaus ihre Zelte aufgeschlagen hatten und, als er dann nach Hause entlassen worden war, wochenlang die Straße vor der Wohnung seiner Großmutter belagerten. Sie waren sich nicht zu schade gewesen, Fotos von ihm, seinen Freunden, seiner Schule zu machen. Hatten scheinheilig gefragt, gelockt, gedroht und bestochen. Alles nur, um die beste denkbare Geschichte über den völlig am Boden zerstörten Dreizehnjährigen zu verfassen, der in der schlimmsten Fährkatastrophe Europas seine komplette Familie verloren hatte. Und jetzt war es wieder so weit. Zeit, an den Gedenkbeilagen zu feilen. Auch wenn die Versuche bisher nicht besonders aggressiv gewesen waren, hatte ihr Drängen doch genügt, um ihn wieder in eine Abwärtsspirale zu schleudern und zurück in Torsten Bredhs Praxis zur Behandlung von posttraumatischem Stress zu bringen.

 

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